Welcome

 

        Welcome to the Basque Country lesen die Passagiere der Fähre, sobald sie über die Gangway laufen. Weiße Buchstaben auf blauer Wand, man kann sie gut erkennen, auch wenn du dort an die Mauer gelehnt das S verdeckst. Du bist nicht schön, aber man kann auch nicht sagen, dass du hässlich aussiehst: einen knielangen Rock, lange Stiefel und ein schwarzes Polo-Shirt, das deinen Hals warm umschließt. Sobald die Reisenden beginnen, an Land zu gehen, streichst du dir den Rock glatt und wendest dich deinen Kunden zu, auf Englisch: «Willkommen in Bilbo. Ich bin Lorena und während dieses Ausflugs ihre Reiseleiterin". Du stellst dich mit einem freundlichen Lächeln vor, ohne deinen Nachnamen zu nennen. Lorena Gordillo klingt nicht sehr basque. Es sind rund ein Dutzend Besucher, in, um es höflich zu sagen, fortgeschrittenem Alter, unter Freunden würdest du sie Alte nennen. Leicht zu handhaben, zumindest ist das dein erster Eindruck.

        Ihr fahrt nach Portugalete. Die Andra Mari Kirche ist sehr schön und mitten in den Erklärungen kommt dir ein verschmitzter Gedanke, die Erinnerung an Samstagnacht. Von den steilen Pflasterstraßen rund um die Kirche sind die Überreste jenes Festes bis zum Morgengrauen noch immer nicht ganz verschwunden. Wenn dich die britischen Herrschaften, die dir jetzt im strömenden Regen aufmerksam lauschen, da gesehen hätten, voller Leidenschaft mit Aitor.

        «Das ist die Hängebrücke oder die Brücke von Biskaya. Die erste ihrer Art auf der Welt. Sie wurde von Alberto Palacio erbaut und am 28. Juli 1893 eingeweiht.» Du erzählst ihnen den ganzen Sermon auswendig, sämtliche Anekdoten, wie viele Nieten die Brücke hat, wie schwer es war, sie zu errichten. Der erste Test verläuft glatt: «Für die meisten ist das ganz einfach die Brücke von Portugalete, aber passen Sie auf, wenn Sie sie auf der anderen Seite des Flusses so nennen!» Alle lachen über den arglosen Witz.

        «Kann man da auch hoch gehen?»

        Jedes Dorf hat seinen Brunnen und seinen Trottel, und jede Reisegruppe muss natürlich ihren Neunmalklugen haben. Es ist Montag morgen und du bist nicht dazu aufgelegt zu erklären, dass die Brücke nicht zu diesem Zwecke erbaut wurde, dass der Aufzug ein Humbug ist, den sich das Betreiberunternehmen der Brücke ausgedacht hat, um Geld zu machen. Was zum Teufel will er an so einem verregneten Tag wie heute von da oben sehen?

        «Ja, selbstverständlich,» antwortest du, «aber das Ticket müssen sie extra lösen.»

        Zwei weitere Männer schließen sich dem alten Hippie an. Der Rest überquert den Fluss in der Schwebefähre, fasziniert wie Kinder im Zirkus. Einem der älteren Herren wird übel und schließlich endet ihr alle völlig durchnässt am Denkmal von Churruca, die Kameras Richtung Abra gerichtet. Zum Glück läuft die Heizung des Minibusses auf Hochtouren.

        Wie Kinder bitten sie dich zu singen. Auch das noch! Diego, der Fahrer, fragt dich, was sie wollen. Du erklärst ihm, dass sie etwas Typisches aus Bilbo hören möchten. Diego kann kein Englisch, aber er hat eine gute Stimme. Noch einmal davon gekommen! Während ihr zwischen den Palästen von Arreta und Neguri umherfahrt, singt Diego ihnen von der Schönheit der Brücke von Portugalete.

        Alles ist dicht. Die Avanzada, Arrontegi, Diego sagt, dass man sogar über Txorierri nicht durchkommt. Du beschließt, am Fluss weiterzufahren. Da kannst du ihnen zumindest etwas erzählen. Die im Verfall begriffen Landschaft aus Eisen auf der anderen Seite des Ibaizabal macht dich schläfrig. Auch die erst kürzlich an Land Gegangenen werden von den Umrissen der vom Nieselregen verschleierten Fabriken und Kräne zu einem Nickerchen verführt.

        «Man kann sich nur schwer vorstellen, dass es hier vor mehr als einem Jahrhundert Marschen gab, aber schon vor den Aushubarbeiten des 19. Jahrhunderts hatte Bilbo lange Zeit einen natürlichen Hafen», weckst du sie für einen Moment auf, in der Befürchtung, dass sie dir ihren Schlummer vorwerfen könnten. «Merken Sie sich dieses Bild, damit Sie sich vorstellen können, wie es hier einmal aussah, wenn Sie Gelegenheit haben, den anderen großen Tidefluss Biskayas, das Naturschutzgebiet von Urdaibai besuchen.» Jemand entdeckt in dem Prospekt des Tourismusbüros ein Foto von Mundaka und zeigt es den anderen. Von hinten im Bus meint eine Frau, dass es doch schade sei, eine so schöne Landschaft derart zu verschandeln. Schade war, was mit deinem Vater geschah, würdest du ihr gern erwidern, während ihr an den Hochöfen vorbeifahrt. Du würdest ihr gern erzählen, wie die ACB Stahlwerke den Ort mit Frührentnern füllte und dass dir und deinen Freunden die Blaumänner der Werften tiefer eingeprägt sind, als die Tätowierung, die über deinem Tanga hervorschaut.

        Doch du lächelst ihnen weiter zu, wie du es gelernt hast: freundlich. «Von hier aus kann man mit einem der letzten noch existierenden Fährkähne über den Fluss setzen, falls Sie das mal ausprobieren wollen», sagst du zu den Abenteurern von der Brücke. Alle lachen und Diego betört die Reisenden mit seinen Liedern. «Übersetz' ihnen, übersetz' ihnen», fordert er dich immer wieder auf, während er von den Abenteuern des Engländers singt, der einst nach Bilbo kam.

        Den Blick verloren durch das Fenster gerichtet, lasst ihr die beiden Ufer von Lutxana hinter euch, ohne zu entscheiden, welche der beiden Seiten des Flusses wohl die hässlichere ist. «Wenn Sie genau hinsehen, erkennt man noch den alten Verladeplatz, von dort kam damals das Erz ...». Das halb versunkene Schiff sei very pathetic dringt an dein Ohr und du glaubst zu hören, dass sie über den speziellen Humor der Basken reden: Der Name Desert [5] sei sehr treffend für diese Gegend.

        «Von hier bekamt ihr damals das Eisen, um den Großen Krieg zu gewinnen, ihr Engländer!», würde Oma Isabel ihnen jetzt genüsslich erklären. In ihrem Flur hatte ein Bild der Pasionaria [6] gehangen.

        Ooooh! ertönt es wie aus einem Mund, als das Titaniumgebäude in Sicht kommt. Wenn du etwas wirklich auswendig weißt, dann ist es die Beschreibung dieser Gegend: Vom Museum bis zum neuen Abandoibarra-Gelände und nebenbei gleich die Arrupe-Fußgängerbrücke und die Universität. Die Jesuiten haben euch schon gelehrt, was es zu preisen gilt, und wie.

        «Aber nur zehn Minuten, danach fahren wir auf die andere Seite des Flusses, um Fotos zu machen.» Du magst keine Kinder. Vom Arriaga-Platz ins Boulevard, einen Kaffee trinken. Sie bleiben in der Bidebarrieta-Straße, fast ohne die Sieben Straßen der Altstadt zu betreten. Glücklich kommt die Clique der Alten zurück, als sei ihnen gerade ein Meistercoup der Mafia gelungen, bis oben mit Zigarettenkartons beladen. Schnell steigen sie in den Minibus und erklären dir, dass es weitergehen kann, wenn du willst. Sie lassen dir nicht einmal Zeit, deinen Kaffee zu trinken. Die Bewohner Bilbos laufen unter ihren Regenschirmen umher, eilig, als habe man sie dort verteilt, damit sie auf den Postkarten erscheinen.

        Beim Guggenheim Museum noch mehr Fotos. Ob Aitor dich anrufen wird? Sein Anruf gerade jetzt wäre nicht schlecht, würde den Tag ein bisschen fröhlicher machen. Du lässt der Herde beim Museum freien Lauf und schaust auf die Uhr. Mehr als die Hälfte ist geschafft. Mal sehen, dass du dich nach dem Mittagessen ein bisschen ausruhen kannst, denn die Woche verspricht hart zu werden.

        «Die Arbeit des Architekten Frank Gehry symbolisiert das Wiederbeleben der Stadt und den Triumph über die von der Deindustrialisierung verursachte Resignation. Die Stadt, die dem Fluss den Rücken gekehrt hatte, entdeckte ihn wieder neu und nichts drückt diese Verbindung zwischen beiden besser aus, als die Titaniumformen des Guggenheim». Du erkennst Raquel, deine Studienkollegin von der Fakultät. Sie arbeitet beim Tourismusbüro. Mit einem einzigen Blick versteht ihr euch. Sie trägt kleine Pins an der Hostessen-Jacke: den Union Jack, die spanische und die französische Flagge und die baskische Ikurrina. Du wusstest gar nicht, das Raquel Baskisch spricht und würdest wetten, dass sie es nicht besser kann als du.

        Auch sie hat ihre Lektion gut gelernt. Bilbo sei wie der Vogel Phönix, der aus der Asche auferstehe: «Nach den ersten freudigen Jahren nach Franco nahm die Hoffnungslosigkeit Besitz von der Stadt: die schlimmste Phase des Terrorismus und der Niedergang der größten Unternehmen gingen einher mit den härtesten Jahren der Arbeitslosigkeit, Misere und des Heroins. In den 90ern begann wir (dir fiel dieses «wir» dieser Großtuerein aus Areeta auf, wie glaubwürdig es ihr über die Lippen kam) Licht zu sehen und dieses Museum katapultierte uns 1997 ins 21. Jahrhundert". Du fragst dich, ob man das im Englischen wirklich so sagt.

        In Oteiza verliebt kommen die Besucher zurück. Die Ausstellung sei hervorragend, und die Sache mit der basque soul finden sie höchst interessant. Sie sind entzückt von dem Künstler. Euskodisney sagst du leise, sie hören dich nicht. So groß die Versuchung auch ist, du darfst ihre Faszination nicht zunichte machen.

        Du nicht, aber die Ertzaintza. Polizeisirenen übertönen die Geräusche von Verkehr und Regen, als ihr bei Euskalduna ankommt. Auf der anderen Seite taucht auf der Höhe des Plakats von Oteiza ein Boot auf. Das i-Tüpfelchen, das zum Ausklang des Ausflugs am Meeresmuseum noch gefehlt hat, denkst du. Die Leute laufen neugierig an der Museumsmole zusammen. Ob das normal sei, ob es eine Vorführung sei, was da los sei, Fragen über Fragen stellen sie dir.

        «Da! Ein Körper!», schreit jemand.

        Das Polizeiboot kommt schnell heran.

        «Ist er tot?», fragt dich eine Frau sensationslüstern.

        «Ja.»

        Der Körper treibt mit dem Fluss. Der Wasserstand ist hoch, die Ebbe beginnt gleich.

        Die Touristin gibt sich nicht zufrieden:

        «Also, dann ist er tot?»

        Sie sei letztes Jahr in Buenos Aires gewesen, erzählt sie dir leutselig, du bräuchtest ihr nichts zu verheimlichen. Ein anderer fragt, ob das vielleicht etwas mit dem Konflikt zu tun habe. Du beginnst nervös zu werden, und antwortest, dass hier solche Dinge wie in Chile oder Argentinien passieren. Vom Bidasoa [7] weißt du nichts. «Das haben sie dort auch gesagt». Der Gaffer neben dir mischt sich ein und zeigt, wie sein Englisch ist. Das sei gar nicht so seltsam, es käme ab und zu mal vor, er habe früher hier bei Euskalduna Glasaale gefischt und einmal hätten sie, als sie am Netz zogen, einen Kadaver herausgeholt, aber da sei dann nichts darüber erschienen, denn die Zeitungen verfolgten die Politik, Selbstmorde nicht zu veröffentlichen.

        Und woher zum Teufel willst du wissen, ob es ein Selbstmord oder ein Unfall war, oder jemand, der von seinem Ehemann ermordet wurde, du Einfaltspinsel, du! Da sich Worte mit Speichel leichter schlucken lassen, hältst du einen Moment die Luft an und erklärst dann den Reisenden, dass ihr bald los müsst, damit sie die Fähre zurück nicht verpassen. Dann schweigst du, denn das zum Angriff bereite Raubtier sollte man nicht stören. Alle drücken gleichzeitig den Auslöser, als der Kadaver ins Boot gehoben wird. Du willst es gar nicht sehen.

        An dem Kran Carola lädst du sie ein, die letzten Fotos zu machen, damit der Besuch nicht derartig tragisch endet. «Einen Kran, Miss? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber wenn ich mit einem Foto von einem Kran nach Southhampton zurückkomme, wird man mir sagen, ich sei gar nicht weg gewesen. Und noch dazu im Regen!"

        Hilde. Als ihr in den Minibus steigt, sagen sie dir, es fehle jemand mit Namen Hilde.

        «Und wo steckt sie?»

        «Sie ist am Flussufer langgelaufen.»

        «Sicher?»

        «Ganz bestimmt.»

        Diego bittet dich, die Ruhe zu bewahren, sonst würde deine Schminke in den Falten zusammenlaufen. Er fährt euch durch die enge Straße von Olabeaga, und wie deine Augen in Portugalete leuchten jetzt die des Fahrers. Zorrotzaurre, das letzte Überbleibsel der Industrie der Stadt und Tummelplatz der Liebhaber von House und Progressive. Das hat dir gerade noch gefehlt. Ein Raver der typische Lieder aus Bilbo singt.

        Ihr findet Hilde, sie kommt euch entgegengelaufen.

        «Entschuldigung, ich habe beim Laufen die Zeit vergessen.»

        Sie zeigt dir das Plakat. Du übersetzt ihr: Don't play with Norway. Der Spruch reimt sich auch im Englischen. Norway? Aber an der Fakultät hat man euch kein Wort über die Verbindung zwischen Olabeaga und Norwegen erzählt. In Zorrotza hat die Arklow View aus Manchester festgemacht und die Panda aus Limerick. Sie bringen Schrott. Im Kanal von Deustu lädt die Mike Stahlspulen ab und fährt dann nach Stavanger. Wer weiß. Du trocknest deine Brillengläser und stellst dich auf die Seite der Kundin. Du erzählst Hilde irgendeine Lüge und sie erklärt dir glücklich, dass ihr Vater Norweger sei.

        «Dann müssen Sie noch einmal kommen, um sich das Viertel in Ruhe anzuschauen.»

        «Ja, ich werde zurückkommen, um mit den Norwegern zu reden. Und meinen Vater bringe ich auch mit.»

        Als ihr an der Bar Norwegen vorbeifahrt, sagt sie, dass sie hier sicher ein Quartier finden werde, wie die alten Wikinger. Wenn du die Tochter betrachtest, muss der Vater über achtzig sein. Sie sollten sich besser beeilen mit diesem Besuch.

        Wie im Flug vergeht die Rückfahrt nach Santurtzi. Die von dem Unternehmen bestellten Sardinen warten in der Hafenkneipe auf sie, aber die Besucher trauen der Sache nicht ganz. Sardina freskue.

        «Gefischt und auf den Tisch?»

        «Ja, überlassen Sie die Konserven den Norwegern.»

        Hilde ist die einzige, die zum Sardinenessen bei dir und Diego bleibt. Die anderen verstecken die Zigarettenkartons in ihren Taschen und verschwinden im Tabakladen neben dem Hafen.

 

[5] Anm.d.Ü.: Desierto, Name eines Viertels der Stadt Barakaldo im Großraum Bilbao

 

[6] Anm.d.Ü.: Dolores Ibarruri, Pasionaria, baskische Revolutionärin und Ikone des Kommunismus

 

[7] Anm.d.Ü.: Der Bidasoa ist der Grenzfluss zwischen spanischem und französischem Baskenland. Hier wird Bezug auf Mikel Zabalza genommen, der 1985 tot in diesem Fluss auftauchte, wenige Tage nachdem er von der Guardia Civil verhaftet worden war. Laut offizieller Version starb er auf der Flucht, obwohl zahlreiche Beweise und Untersuchungen nachwiesen, dass er während der Folter, der sog. „Badewanne« ums Leben kam.

 

 

© Urtzi Urrutikoetxea
© Übersetzung aus dem Baskischen: Gabriele Schwab


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